Auf meinem Weg, die AfD thematisch zu stellen und auf die Inhaltslosigkeit ihrer Forderungen, aber auch mögliche Konsequenzen hinzuweisen, betrachtet das dritte Themenpapier die Position der AfD zur EU bzw. dem Euro.
Die Argumente des AfD Grundsatzprogramms sind geschickt formuliert. Ihr Duktus macht, wie auch in diesem Themenbereich, manche Zustimmung und Zuspruch für die AfD erklärbar. Durch gezielte Wortverwendungen, wie Freiheit, Ablehnung fremder Bevormundung, rechtsstaatliche Strukturen, wirtschaftlicher Wohlstand und ein stabiles, leistungsgerechtes Sozialsystem als Kernpunkte nationaler Verantwortung entstehen bei den Menschen durchaus positive Assoziationen, in denen sie sich wiederfinden.
Beim genauen Hinsehen wird aber schnell deutlich, dass die AfD sowohl eine radikale Anti–EU–Partei als auch eine radikale Anti-Euro-Partei ist. Sie grenzt sich auch bei diesem Themenkomplex komplett von allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien ab.
Schauen wir also auf die aktuelle AfD-Positionen, die ich in diesem Text blau bzw. rot und kursiv dargestellt hab. Sie beginnen mit einer Passage aus dem AfD-Grundsatzprogramm des Jahres 2022:
Wir stehen für die Freiheit der europäischen Nationen von fremder Bevormundung. Rechtsstaatliche Strukturen, wirtschaftlicher Wohlstand und ein stabiles, leistungsgerechtes Sozialsystem gehören in die nationale Verantwortung. Wir wollen in Freundschaft und guter Nachbarschaft zusammenleben. Wir lehnen die „Vereinigten Staaten von Europa“ ebenso ab wie eine EU als Bundesstaat, aus der kein Austritt mehr möglich ist.
Unser Ziel ist ein souveränes Deutschland, das die Freiheit und Sicherheit seiner Bürger garantiert, ihren Wohlstand fördert und seinen Beitrag zu einem friedlichen und prosperierenden Europa leistet.
Europa darf kein zentralistischer Bundesstaat werden. Die große Vielfalt nationaler und regionaler kultureller Traditionen macht das Besondere unseres Kontinents aus. Wir sind deshalb dagegen, die europäische Union in einen zentralistischen Bundesstaat umzuwandeln.
Sollten sich unsere grundlegenden Reformansätze im bestehenden System der EU nicht verwirklichen lassen, streben wir einen Austritt Deutschlands, bzw. eine demokratische Auflösung der europäischen Union und die Neugründung einer europäischen Wirtschaftsgemeinschaft an.
Die politische Führung der großen EU-Länder will die europäische Union um jeden Preis und gegen den Mehrheitswillen der europäischen Völker zu einem Einheitsstaat umgestalten. Wir fordern stattdessen, die Nationalstaaten zu erhalten und ihnen wieder mehr Kompetenzen zu geben.
Die Richtung der Debatte ist glasklar – und die politischen Konsequenzen im Falle einer Regierungsbeteiligung werden deutlich beschrieben. Käme die AfD an die Macht, wäre ihr Ziel, Deutschland wieder zu einem reinen Nationalstaat zu machen. Diese tendenziell völkische Richtung gilt als die neue Zielrichtung der AfD. Als völkisch bezeichnet man eine radikal-nationalistische Einstellung, die die Menschengruppe, zu der man sich zugehörig fühlt, das eigene "Volk" verabsolutiert und als (ethnisch) reine Gemeinschaft definiert.
Eine starke nationale Identität ist wieder sehr in Mode, was man in vielen anderen Ländern (Bsp. USA, China, Russland, die Türkei, aber auch Frankeich, Italien, Polen, Ungarn etc.) beobachten kann. Damit nimmt die AfD einen Trend auf, dem Menschen gerne und, auf die Konsequenzen projiziert, ungeprüft folgen. Konkret bedeutet das: Wer von der AfD-Wählerschaft fragt nach wirtschaftlichen Konsequenzen des Hauptabsatzmarktes deutscher Waren und wirtschaftlicher Verflechtungen innerhalb der EU?
Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2015 hat ergeben, dass der EU-Binnenmarkt das Pro-Kopf-Einkommen der Deutschen um 1.000 Euro jährlich erhöht. Nach dieser Studie profitieren Länder wie Deutschland, Österreich und die Schweiz sowie Norwegen und Schweden wirtschaftlich am meisten vom gemeinsamen Binnenmarkt.
Ja, Zahlungen an andere, wirtschaftlich schwächere Länder wie Polen, Ungarn oder Lettland sind unbeliebt. Dem gegenübersteht das Argument, dass die Länder erst mit diesem Geld ihren Wohlstand aufbauen können und als Ergebnis daraus Deutschland als Exportland mehr Waren in diese Länder exportieren kann. Hier würde sich Deutschland mit einem Austritt aus der EU einen Vorteil selbst zunichtemachen, denn mehr als 53 Prozent aller Exporte gehen in andere Staaten der Union.
Zusammenhänge und Konsequenzen dürfen in keinem Fall unterschätzt werden. Das Wachstum anderer Länder ist immer auch für das Exportland Deutschland profitabel. Zwar wären Exporte auch nach einem Austritt möglich, doch würden diese um ein Vielfaches komplizierter und im schlimmsten Fall könnten auf diese Exporte auch Zölle erhoben werden.
Die Wahrheit ist unbequem, kann man aber in Großbritannien nach dem Brexit sehr gut beobachten: Not und Elend statt Wohlstand und Sicherheit im europäischen Verbund.
Ja, die EU ist – wie vieles – nicht perfekt, aber sie ist genau das, was heute Deutschland dahin gebracht hat, wo wir heute stehen. Also bitte: Auch hier nachdenken, bevor man das Wahlkreuz bei der AfD macht – und dann irgendwann genau mit den obigen Konsequenzen umgehen muss. Noch einmal: die AfD will im Kern eine Rückkehr zu einem Nationalstaat. Lose Verbindungen (die uns nützen): gerne. Feste Verbindungen untereinander, bei dem es auch um zwischenstaatliche Solidarität geht: Nein danke.
AfD wählen heißt, sich von der Idee eines gemeinsamen Europas zu verabschieden.
Da es nicht ausreicht – oder auch rechtlich schwierig bzw. nicht möglich ist, einen DEXIT anzustreben, nimmt man sich noch ein weiteres Symbol der Gemeinsamkeit vor, von dem sich die AfD gerne verabschieden will. Sie fordert eine Volksabstimmung über den Euro und schreibt dazu:
Der gemeinsame EURO ist eine grundlegende Fehlkonstruktion. Aus der Währungsunion entwickelte sich zwangsläufig eine Schuldenunion.
Wir fordern, das EURO-Experiment geordnet zu beenden. Sollte sich der Bundestag dieser Forderung nicht anschließen, muss über den Verbleib Deutschlands im Währungsverbund eine Volksabstimmung durchgeführt werden.
Durchaus bewusst und geschickt betrachtet die AfD beide Themen getrennt. Sie verfälscht und negiert damit bestehende Tatsachen. Ein Ausstieg aus der EU ist rechtlich sehr komplex und gesellschaftlich vermutlich unerwünscht. So kann man den bösen Euro als Ziel separat ins Visier nehmen. Grundsätzlich ist die Konsequenz eines DEXIT auch ein Ende des Euro als Währung in unserem Land. Das AfD-Ziel: Die gute, alte D-Mark, die uns wieder den Wohlstand bescherr, den wir auch vor der Euro-Umstellung in unserem Land hatten.
Viele Menschen ohne Kenntnis von volks- und betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen betrachten eine Rückkehr zur D-Mark als Vorteil. Durch eine vermutlich folgende Währungsabwertung könnten deutsche Exporte für Käufer im Ausland attraktive Preise anbieten und so die deutsche Wirtschaft ankurbeln. Gleichzeitig aber, würden Importe nach Deutschland teurer werden – und das träfe die Konsumenten. Deshalb steht Währungsabwertung immer in Verbindung mit der Forderung nach Gehaltserhöhungen, um die gestiegenen Kosten von Importwaren auszugleichen und die Inflation zu beschränken, die ja heute ohnehin durch die wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine und der aus den Rohstoffmärkten folgenden Preissprünge in unserem Land herrscht. Ein Ausstieg aus dem Euro würde zu weiteren negativen Veränderungen der Lohn-Preis-Spirale führen und wirdim Endeffekt Deutschland mehr schaden als nutzen würde.
Auch verlöre Deutschland seine Rolle als Handelszentrum in der Mitte der EU, und das vor allem beim EU-Binnenmarkt. Der freie Warenverkehr, sowie der Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr wäre ungeregelt und könnte Verwerfungen in Deutschland herbeiführen, wie sie Großbritannien nach dem Brexit erlebt hat. Es ist gut, dass wir alle damit ein Beispiel haben, was sich in einem Land, das aus der EU austritt, alles verändert. Die Briten suchen bis heute verzweifelt nach Positivem, dass ihnen der EU-Austritt gebracht hat.
All das spielt bei der wirtschaftsnaiven AfD keine Rolle. Wie bei allen anderen Themen der AfD werden vermeintlich positive Parolen herausgeschleudert, ohne die Konsequenzen zu erwähnen.
Es ist eine Tatsache, dass es weder eine klare rechtliche Möglichkeit für Mitgliedstaaten, ein Land aus dem Euro zu verbannen gibt, noch ist in den Europäischen Verträgen ein Euro-Austritt ohne EU-Austritt vorgesehen.
Die AfD spielt mit Thesen wie dem Ende des Euro als Währung ohne jede Machbarkeiten, die auf Grundlage der Europäischen Verträge gegeben sind. Damit haben die Gründungsväter und -mütter der europäischen Idee sehr klug vorausgedacht, ein Attribut, dass in der AfD einfach nicht vorhanden zu sein scheint.
Auch die Bankenunion nimmt die AfD mit ins Visier:
Die Alternative für Deutschland verlangt, dass deutsche Banken nicht für Fehlentscheidungen ausländischer Banken in Mithaftung genommen werden dürfen. Deutsche Sparguthaben dürfen nicht dazu verwendet werden, um im Ausland entstandene Risiken abzusichern. Bis zum Austritt aus dem Eurowährungsverbund (Bemerkung RR: der nur bei einem EU-Austritt Deutschlands möglich ist) sind die Target-2-Salden, also die Salden der nationalen Notenbanken gegenüber der EZB, einmal im Jahr auszugleichen. Auch die Kreditvergabe an Staaten wird wieder mit Sicherheiten unterlegt. Dies können auch Bodenschätze oder Rechte an ihnen sein.
Hier nimmt sich die AfD ein beliebtes Thema vor, dass immer auf fruchtbaren Boden stößt: die Schuldenunion Europas. Da die meisten Menschen nichts mit dem Begriff des Target-2-Saldo anfangen können, hier eine kurze Einführung: Die Target2-Salden sind ein Messfaktor für den Zustand des Euro-Raums und spielen im Zahlungssystem der Europäischen Zentralbank (EZB) mit den nationalen Zentralbanken eine wichtige Rolle. Der Saldo betrug per 31.3.23 die Summe 1,114 Billionen Euro. Die entspricht mehr als einem Viertel der jährlichen Wirtschaftsleistung Deutschlands, die im Jahr 2022 bei 3,87 Billionen Euro lag. Ja, das ist unglaublich viel Geld, dass die EZB und damit andere EU-Länder uns schulden. Viele Volkswirte halten die Entwicklung für alarmierend, da die deutsche Bundesbank das Geld nie zurückbekäme. Andere sind dagegen völlig entspannt. Was also steckt hinter den Salden?
Das Transeuropäische automatische Echtzeit-Brutto-Express-Abwicklungssystem „Target“ ist ein buchhalterisches Hilfsmittel, um Zahlungsströme über Ländergrenzen der Euroländer abzuwickeln. Kauft ein ausländisches Unternehmen deutsche Ware, so beauftragt dieses Unternehmen seine Bank, den Preis an die Bank des Exporteurs zu überweisen. Die Banken tauschen das Geld nicht direkt aus, sondern verrechnen es über die EZB. 340 000 Zahlungen werden so pro Tag abgewickelt – vom Aktienkauf bis zur Warenlieferung. Die Bundesbank (als Zahlungsempfänger) erhält eine Forderung gegenüber der EZB, die sendende Bank eine Schuld. Normalerweise ist das Verrechnungssystem ausgeglichen, da in beide Richtungen gehandelt wird. Durch Kapitalflucht, Defizite im Außenhandel, steigende Staatsverschuldungen oder einem gestörten Interbankenmarkt entstand jedoch im Laufe der Jahre der heutige Saldo. Die Entwicklung dazu findet sich unter folgendem Link: https://www.tagesgeldvergleich.net/statistiken/target2-saldo.html#entwicklung
Aus dieser Statistik lässt sich die permanente Dynamik des Target-2-Saldos sehr gut nachvollziehen. Ja, Deutschland ist der größte Kreditgeber, aber schließlich auch die größte EU-Volkswirtschaft und hat wie kein anderes Land sowohl vom EU-Binnenmarkt als auch von der Einführung des Euro profitiert. Zu den Schuldenstandquoten der EU-Mitgliedstaaten Bruttoschulden (konsolidiert) in % des Bruttoinlandsproduktes führt dieser Link: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Tabellen/eu-stabilitaetspakt-defizit-schulden-eu.html
Die AfD-Forderung zur Banken- und Schuldenunion kann nur bei einem EU-Austritt Deutschland erfolgen! Sollte es dazu kommen, wären die heute bestehenden Schulden anderer Länder sofort zur Zahlung fällig, da Deutschland aus den Verträgen und Vereinbarungen aussteigen würde. Die Konsequenzen wären eine Wirtschaftskrise, wie sie die Welt vermutlich seit dem Börsen-Crash von 1929 nicht mehr erlebt hätte. Die Finanzkrise von 2008 wäre ein mildes Lagerfeuer gegenüber dem Flächenbrand, den die Umsetzung der AfD-Europapolitik auslösen würde. Das alles ist der AfD-Wählerschaft entweder nicht bekannt, nicht bewußt – oder schlimmstenfalls egal. Womit wir wieder beim Unterschied zwischen Hardcore-AfD-Parlamentariern und Parteimitgliedern und den heutigen und potentiellen Wählerinnen und Wähler dieser destruktiven Partei wären.
Bei meinen mittlerweile drei Themenpapieren geht es mir nicht um Aufklärung der Hardcore-Gruppe, die sich jeden Argumenten widersetzt. Diese Gruppe nimmt alles in Kauf, was bei einer Rückkehr zu einem Nationalstaat Deutschland und einem Ende der Mitgliedschaft als EU-Binnenstaat, einem Ende des Euro als gemeinsame Währung und einem Ende der Bankenunion auf unser Land zukäme. Soll Deutschland Leuten überlassen werden, die das biblische „Heulen und Zähneklappern“ in Kauf nehmen, nur um ihre völkischen Ziele zu erreichen?
Auch nach diesem dritten Themenpapier sträuben sich mir alle Nackenhaare, wenn ich mir die AfD-Forderungen inhaltlich und auf ihre Wirkungen hin analysiert vor Augen halte.
Die AfD nicht wählen heißt Deutschland retten!
Ralf Roschlau
Lauffen am Neckar, den 10.7.2023
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